Nachdem wir die BoutiK! in der Sucrerie in St. Louis betreten, sind die Formalitäten rasch geregelt. Die Tourführerin mustert uns zwar sehr genau (geschlossene Schuhe, keine Röcke, kein Schmuck, keine Uhren), doch auch diese Hürde nehmen wir dieses Mal. Schliesslich standen wir vor einigen Wochen schon einmal vor dieser Kasse. Damals hiess es, dass es ohne telefonische Voranmeldung keine Möglichkeit gäbe, eine Tour zu buchen. Und unser zweiter Anlauf wurde letzte Woche durch einen technischen Defekt gecancelt. So aber kann es in wenigen Minuten bereits losgehen. In einem kleinen, klimatisierten Raum werden wir über den vielseitigen Nutzen von Zuckerrohr informiert. Der Film ist im Animationsstil eines Kinderfilmes gehalten, was unsere Girls gar nicht stört. Wir erfahren, dass Zuckerrohr für sehr vieles gut ist. Erstens einmal kann man aus dieser Pflanze Zuckerrohrsaft gewinnen. Dieser dient als Grundlage für süsse Getränke oder in vergorener Form als Schnaps. In der weiteren Verarbeitung wird als Endprodukt Zucker gewonnen. Auch hier gibt es je nach Stadium des Verarbeitungsprozesses verschiedene Zuckerarten bis hin zur Zuckermelasse, welche fast keinen Zucker mehr enthält, dafür umso mehr Mineralstoffe. Das Wort „Melasse“ ist ein französisch-spanisches Lehnwort, abgeleitet von „Miel“ für Honig. So sollte man die Melasse auch betrachten, als Honig des Zuckerrohrs. Weiter dienen die Resten des grossen Grashalms (bis zu 5 Meter hoch), die Faserteile oder sog. Bagasse als Rohstoff für unterschiedlichste Verwendungen. In waldarmen Ländern wird Papier oder Karton daraus gemacht. Anderswo wird diese Masse zur Erzeugung von Bio-Ethnol für Kraftfahrzeuge oder zur Stromerzeugung gebraucht. Eine weitere Verwendung findet die Masse in Dünger. Auf La Réunion kommt ein weiterer Nutzen dazu. Zuckerrohr ist sehr robust und so hält dieses auch grossen Zyklonen stand, welche in den Monaten Februar bis April auf der Insel wüten. Sie dienen auch als Erosionsschutz. Die Pflanzen sind weiter dank der Photosynthese für die Umwandlung von CO2 in O2 verantwortlich.
In einem zweiten Teil werden uns die einzelnen Schritte der Zuckerproduktion in derselben Kinderanimationsfilmart vermittelt. Auf den Feldern werden die grossen Zuckerrohre mit einer Maschine geerntet und von dort zu einer Sammelstelle gefahren. Mittels riesiger Kranen werden die grossen Containerlastwagen gefüllt. Jetzt startet die Fahrt zur Sucrerie. Dort wird die Ladung zuerst genau deklariert, gewogen und danach werden Stichproben entnommen. Sind alle Werte in den vorgegebenen Bereichen, fährt der grosse Lastwagen zum ersten Förderband, wo er seine Ladung auskippt. Wie durch eine grosse Häckselmaschine werden die langen Zuckerrohrstängel ein erstes Mal zerkleinert. Dieser Prozess wird dann wiederholt, auf einer feineren Stufe. Jetzt wird zur Reinigung noch Wasser beigemischt. Danach durchläuft die Masse einen starken Magneten, damit alle magnetischen Teile der Masse entzogen werden. Im nächsten Schritt wird die ganze Masse gepresst und der Saft in separaten Behältern aufgefangen, gefiltert und schliesslich erhitzt. In der Verdampfstation wird der gereinigte, hellgelbe Dünnsaft eingedickt. Jetzt wird aus dem Dicksaft durch mehrmaliges Kristallisieren bei erhöhter Temperatur und Unterdruck das Zwischenprodukt Magma (=Mischung aus Dicksaft und Kristallzucker) gewonnen. Ganz zum Schluss werden beim Raffinieren der sog. Kristallsuspension die Zuckerkristalle von der Mutterlauge getrennt, in der Zentrifuge gewaschen und anschliessend getrocknet.
Anschliessend an den Film werden Haarhauben und Audiogeräte verteilt, draussen dürfen wir uns noch mit einem grünen Helm bestücken. Endlich können wir diesen im Film beschriebenen Prozess und die schematischen Darstellungen in der Originalfabrik erkunden. Wir gehen über den Anlieferungsplatz und staunen ob der Grösse der Lastwagen und des Hebekranes. Auf dem ersten Verkleinerungsförderband hat gut und gerne eine ganze Lastwagenladung Platz und beim Anheben eines einzigen Zuckerrohrstängels sind wir alle erstaunt. Das Gewicht ist viel höher, als wir alle gedacht haben. Weiter geht es auf dem Rundgang zum zweiten Förderband, welches alles Material nochmals verfeinert. So gehen wir von Posten zu Posten, es kocht und dampft und dröhnt und lärmt und ist heiss. Bei den beiden riesigen Pressen können wir die eingedickte Masse in die Finger nehmen. Der Weg zum Zucker ist aber auch von hier noch weit. Ein erstes Highlight ist die Degustation des Zuckerrohrsirups. Dieser schmeckt sehr süss und als die Führerin noch Abnehmer des scheinbar übrigen Sirups sucht, sind wir alle an erster Stelle. Justine und Céline halten ihren Löffel auch gerne ein drittes Mal hin. Ja wir schauen sogar im Überwachungsraum vorbei und staunen dann nicht schlecht. Auf ca. 15 verschiedenen Bildschirmen ist die ganze Anlage dargestellt und überall laufen verschieden Steuerungsprogramme. Man kann also sagen, dass alles vollautomatisch abläuft und sehr wohl systemgesteuert ist. So bleibt einzig die Frage, weshalb so viele Arbeiter in diesem Raum sind. Die Führerin hat eine einleuchtende Erklärung. Alle hier anwesenden Arbeiter haben eine zusätzliche Ausbildung, welche in der Fabrik direkt von Nutzen ist, z.B. Mechaniker. So kann in einem Notfall schnell eingeschritten werden. Schliesslich wird diese gesamte Produktionsstätte im Dreischichten-Prinzip während 24 Stunden pausenlos von Juni bis Dezember betrieben. Im weiteren Verlauf sehen wir, wie der Zucker in grossen „Schüttelbechern“ getrocknet wird und wir dürfen eine kleine Degustation verschiedener Produkte aus verschiedenen Stadien des Zuckerkreislaufes geniessen. Diese beenden wir mit der oben bereits beschriebenen, dunklen klebrigen, mineralstoffhaltigen Melasse. Auf dem Rückweg zur BoutiK! schiessen wir noch eins, zwei Erinnerungsfotos, bevor wir dann den fast zweistündigen Rundgang beenden. Auf die Rumdegustation verzichten wir, dafür besuchen wir unser Glacerestaurant in L`Étang-Salé.