Surprise

Man soll nicht vor dem Geburtstag gratulieren, heisst es so schön. Und man soll die Geschenke nicht vor dem Geburtstag öffnen. Zum Glück habe ich mich nicht an diese Regel gehalten, denn manchmal kommt es besser als man denkt. Meine drei Frauen haben mir eben ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk gemacht. Es heisst so schön, alle Gute kommt von oben. Ja er ist von oben gekommen und wieder nach oben weggegangen. Es ist die Rede vom Helikopter der Corail-Air. Lisa, Justine und Céline haben mir einen Gutschein für einen knapp einstündigen Inselrundflug geschenkt. So oft, z.T. dreimal wöchentlich bin ich an der Helikopterbasis vorbeigefahren, immer auf dem Weg zum Golfplatz Bassin Blue oder von dort wieder zurück. Ja oft, vor allem bei meinen Morgentrainings habe ich die Maschinen starten und landen gesehen, ein schöner Anblick. Elegant, scheinbar schwerelos wie eine Libelle heben sie ab, bleiben über dem „H“ noch einen kurzen Moment stehen, wahrscheinlich um „Tschüss“ zu sagen und dann drehen sie ab. Je nach Route Richtung Küste oder hinauf Richtung Piton des Neiges. Gerade in der letzten Woche bin ich von mehreren Personen darauf angesprochen worden, ob wir dies schon gemacht haben. Mein „Nein“ hat fast kein Gehör gefunden, ja immer wurde nachgehackt im Sinne, dies lohnt sich wirklich. Dass es sich lohnen würde, ist mir schon klar, das Reisebudget sagt aber etwas Anderes. So habe ich mich mit der Situation abgefunden und die schönen Bilder im Prospekt studiert. Als sich Justine und Céline mit dem Gutschein vor mir gestellt haben, habe ich meinen Augen nicht getraut. Mit viel Hingabe und wunderschönen Worten haben sie diesen gestaltet. Das Glück geht aber noch weiter. Die besten Abflugzeiten sind frühmorgens und bei der definitiven Bestätigung meines Fluges wurde diese Zeit noch um eine halbe Stunde vorverlegt. Dies bedeutet, dass wir auf dem Flug sicherlich weniger Wolken antreffen werden, als zur ursprünglich geplanten Zeit. David im Glück, denn ich habe den letzten Platz im Helikopter startend um 07.15 Uhr zugesichert bekommen. So können auch Céline und Justine meinen Abflug direkt vor Ort mitverfolgen, danach müssen sie einen Abflug in die Schule machen. Beim Eintreffen auf der Basis meldet man sich am Tresen und dann wird man sogleich geheissen, auf die Waage zu stehen. Keine Angst, ich habe mein Gewicht nicht gesehen, doch die Zuteilung der sechs Passagiere erfolgt strikt nach „Gewichtsklassen“. Mit Stolz darf ich mitteilen, dass ich mit meiner Gewichtsklasse schön in der Mitte lag. Dies ist nicht so schlecht bei drei weiblichen und drei männlichen Passagieren. Nach dem Erinnerungsfoto mit dem Helikopter, welches direkt durch den Piloten geknipst worden ist, verteilt er die Sitze. Ich darf direkt hinter dem Piloten am Fenster Platz nehmen, was will ich mehr. „Fasten your seatbells – please“ und alle Daumen nach oben und schon heben wir ab. Während Lisa meinen Abflug filmt, winken Justine und Céline strahlend mit dem Daumen nach oben. Das 55-minütige Spektakel kann losgehen. Da wir seit 9 Wochen auf der Insel leben und schon viele Ausflüge in verschiedene Richtungen unternommen haben, kann ich mich sehr gut orientieren. Zudem kommentiert der Pilot die wichtigsten Regionen, Dörfer, Wasserfälle, Schluchten, Flüsse. Die Natur – und das haben wir schon mehrmals festgestellt – ist umwerfend, schlicht genial. Dies alles aus der Vogelperspektive zu sehen ist einfach unbeschreiblich schön! Danke an Lisa, danke an Justine, danke an Céline. Das genialste aller genialen Geburtstagsgeschenke ist Tatsache. Ich sitze im Helikopter unter mir das Inselparadies von La Réunion. Die Tour de l’exellence führt uns zu den drei Cirques (gewaltige Talkessel), welche das wilde Innere der Insel bilden. Sie sind wie ein Kleeblatt um den 3071 Meter hohen Piton des Neiges angeordnet. Alle drei sind ursprünglich Teil eines Vulkanmassivs gewesen, das nach Ende seiner Aktivität langsam zusammengesackt ist. Die Kräfte der Erosion haben das bizarre System von Schluchten, Plateaus, Steilwänden und Berggipfeln geschaffen. Es versteht sich von selbst, dass in dieser wunderbaren Bergwelt zahlreiche Wasserfälle z.B. bis 300 Meter in die Tiefe stürzen. So fliegen wir vorbei an zahlreichen imposanten Wasserfällen, welche in den Cirque de Salazie hinunterstürzen. Eine sehr eindrückliche Stelle ist das Trou de Fer. Der Pilot steuert den Helikopter geschickt zwischen den beinahe senkrecht abfallenden Steilwänden zu dieser imposanten Stelle. Hier fallen die Wassermassen 300 Meter in die Tiefe in ein Wasserloch. Passagierfreundlich drehen wir hier zwei Runden, einmal im Uhr- und das zweite Mal im Gegenuhrzeigersinn. Einfach herrlich der Blick hinunter in die Tiefe. Dieser Ort ist übrigens zu Fuss nicht erreichbar, zu steil sind die Wände. Es besteht lediglich ein Weg zu einer Aussichtsplattform. Der Weiterflug führt durchs Takamakatal, ebenfalls ein sehr steiles, beeindruckendes Tal mit zahlreichen kleineren und grösseren Wasserfällen. Vorbei am Grand Etang, einem Bergsee überfliegen wir die Hochebene von Pleine des Palmistes. Und schon sehen wir unter uns den Wald de Bébour-Bélouve. Speziell an diesem Wald ist, dass es der letzte grosse Primärwald der Insel ist, d.h. es ist ein Wald, in den der Mensch bislang nicht eingegriffen hat. Typisches Bild sind die durch Bartflechten und Moose überwucherten Bäume und die unzähligen, imposanten Riesenbaumfarne. Wahrlich ein Blick hinunter in die perfekte Dschungelkulisse. Jetzt nähern wir uns einem der aktivsten Vulkane der Welt, dem Piton de la Fournaise. Diese Gegend kenne ich von unserer grossen Vulkantour. Die Farben und Formenvielfalt mag immer wieder aufs Neue zu beeindrucken und zu begeistern. Spätestens hier fehlen die Worte, um diese wundervolle Gegend zu beschreiben. Dicht an den Wolken kreisen wir um den Hauptkrater, den Krater Dolomieu, welcher eine stolze Tiefe von über 330 Meter und einen Durchmesser von über 800 x 1200 Metern aufweist. Freundlicherweise lassen die Wolken exakt den Blick hinunter in den Krater zu. Über die Mondlandschaft fliegen wir weiter zum letzten der drei Cirques, zum Cirque de Cilaos. Auch diesen kenne ich von unserem Ausflug zum Wasserfall Bras Rouge. Dicht über die Gratkante des Col de Taïbit (2082müM) fliegen wir zwischen dem Grand Bénare (2898müM) und dem Piton des Neiges (3071müM) zurück in den Cirque de Mafate. Dieser Talkessel ist nur zu Fuss zu erreichen und deshalb gilt er verständlicherweise als der unzugänglichste aller drei Cirques. Schon liegt der Piton Maïdo vor uns, von welchem wir ja bereits berichtet haben. Über die Vulkanhänge, welche aus der Vogelperspektive doch deutlich flacher aussehen, als wenn man mit dem Auto unterwegs ist, fliegen wir der Küste entgegen. Das Riff ist von hier oben sehr schön zu sehen. Vorbei über die École élémentaire, wo Céline und Justine die Schulbank drücken, die Tennisakademie von L’Érmitage, wo wir in knapp zwei Stunden dem gelben Filzball hinterherjagen werden, geht es zurück zur Basis. Ja dort erwartet mich Lisa filmenderweise bereits wieder zurück. Hier schliesst sich der Kreis. Ein unvergessliches, unerreichbar schönes Erlebnis geht zu Ende. Mit viel Glücksgefühlen betrete ich wieder festen Boden.